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Qualifizierte Assistenz

1. Leistungsbezeichnung

Qualifizierte Assistenz

 

2. Rechtsgrundlage

§ 113 Abs. 2 Nr.2 SGB IX in Verbindung mit § 78 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 SGB IX und § 103 SGB IX

 

3. Ziel der Leistung

Die Ziele der Sozialen Teilhabe sind im Teil B 4.1 Abs. 3 definiert.

Die Qualifizierte Assistenz ist eine Leistung, die die Befähigung zu einer selbstbestimmten und eigenständigen Alltagsbewältigung insbesondere durch Anleitungen und Übungen zum Ziel hat.

Eine Konkretisierung der Leistungsziele erfolgt jeweils im Rahmen des individuellen Teilhabe-/Gesamtplans.

 

4. Personenkreis

Zu den Leistungsberechtigten gehört der im Teil A 3.3 beschriebene Personenkreis.

 

5. Art und Inhalt der Leistung

Die Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung kann sich auf alle neun Lebensbereiche beziehen, die in § 118 Abs. 1 SGB IX aufgelistet sind.

Die Ausgestaltung der Leistung erfolgt personenzentriert unter Beachtung der Inhalte des Gesamtplans, der auf Grundlage der an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientierten Ermittlung des individuellen Bedarfs erstellt wird.

Die qualifizierte Assistenz erfolgt insbesondere durch Anleitungen und Übungen, unter Beachtung von Barrieren und Unterstützungsfaktoren. Die qualifizierte Assistenz erfordert, dass mit der leistungsberechtigten Person alltägliche Situationen und Handlungen gemeinsam geplant, besprochen, geübt und reflektiert werden. Es werden Gelegenheiten geschaffen, etwas zu lernen, die Leistungsberechtigten sollen angeregt werden, Handlungen selbstständig zu übernehmen. Zur qualifizierten Assistenz gehören beispielsweise die psychosoziale Beratung und Anleitung bei der Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen, bei der Gestaltung einer Partnerschaft, bei der Planung der Freizeitgestaltung oder bei der Ernährung. Es geht beispielsweise darum, wie man sich gegenüber Freunden oder Fremden verhält, wie man eine Beziehung gestaltet oder mit Konflikten umgeht, wie man sich gesund ernähren und sich alleine versorgen kann oder wie die Freizeit gestaltet werden kann.

Die Leistungen sind so ausgestaltet, dass sie als individuelle Leistung erbracht werden. Eine gemeinsame Inanspruchnahme erfolgt ausschließlich selbstbestimmt.

Bei gemeinsamer Inanspruchnahme wird die gemeinsam genutzte Assistenzzeit durch die Anzahl der leistungsberechtigten Teilnehmer*innen geteilt und anteilig auf das Budget angerechnet.

In der Regel erfolgt die Leistungserbringung aufsuchend. Bei einer persönlichen Kommunikation können jedoch auch Medien (Telefonate/ Videotelefonate) eingesetzt werden.

Im Leistungsprozess können auf Wunsch der leistungsberechtigten Person unter Beachtung des Datenschutzes indirekte Kommunikationsmittel (wie SMS, Messenger-Dienste, Sprachnachrichten) eingesetzt werden. Dieses unterstützt die Beziehungsaufrechterhaltung und -gestaltung, ersetzt aber nicht den persönlichen Kontakt.

Im Rahmen des Assistenzstundenbudgets sind maximal 10% der bewilligten Leistung als indirekte Kommunikation abrechenbar. Individuelle Abweichungen werden im Gesamtplanverfahren festgelegt.

 

6. Umfang der Leistung

Leistungen der qualifizierten Assistenz befähigen

  • zu den allgemeinen Erledigungen des Alltags

z. B.: Beratung und Anleitung beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs (dazu gehört z. B. auch der Erwerb von Bekleidung und persönlichem Inventar); Anleitung und Übungen zur Vor- und Zubereitung von Nahrungsmitteln; Anleitung und Übungen zur Erledigung von Haushaltsaufgaben; Information und Anleitung zur Koordination von anderen Leistungen und zur Regelung von persönlichen Behördenangelegenheiten; Beratung zur Wahrnehmung vertraglicher Rechte und  Pflichten; Übung beim Umgang mit Geld; Anleitung bei der strukturgebenden Planung des Alltags; Training zeitlicher Orientierung (Tageszeiten, Uhr, Kalender), Entwicklung von Selbstkontrollroutinen zur Einhaltung des Tages-/Wochenplans; Unterstützung bei der Aufrechterhaltung des Tag-/Nachtrhythmus.
Anleitung zur Wahrnehmung der persönlichen Gesundheitssorge (dies ist, was Bürger*innen selbst zur Erhaltung der eigenen Gesundheit und zur Behandlung sowie zur Bewältigung seiner Erkrankungen üblicherweise vornehmen, u. a. für physisches und mentales Wohlbefinden zu sorgen und bei Bedarf Unterstützung durch vertraute Personen, einen Arzt oder andere Gesundheitsdienstleister zu suchen).

  • zur Gestaltung sozialer Beziehungen

z. B.: die Anleitung zur angemessenen Kommunikation; Lernen, mit Fremden umzugehen; Beratung beim Beziehungsaufbau und bei deren Pflege; Befähigung zur digitalen Teilhabe; Anleitung zum Verhalten in Gruppen; Beratung zum Vermeiden von Konflikten im Wohnumfeld/Nachbarschaft.

  • zur persönlichen Lebensplanung

z. B.: die Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Beeinträchtigung und den wahrgenommenen Behinderungen im Alltag; Beratung und Anleitung im Erkennen eigener Ressourcen und persönlicher Ziele; Beratung zur und Einübung der Teilnahme an Bildungs-, Arbeits- und Beschäftigungsangeboten sowie an Maßnahmen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten; Beratung zur Gestaltung einer Familienplanung; Anleitung zur Planung der Freizeit und des Urlaubs.

  • zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben und zur Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten

z. B.: Hinführung zur selbstständigen Wahrnehmung sozialräumlicher Angebote; Unterstützung zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben; Anleitung zum Gestalten von Erholung und Freizeit; Sensibilisierung für Sport/Gesunderhaltung; Unterstützung beim Leben von Religion und Spiritualität; Unterstützung beim Verwirklichen von Menschenrechten und politischer Teilhabe.

  • zur Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen

z. B.: Beratung und Anleitung zur selbständigen Inanspruchnahme ärztlicher und therapeutischer Leistungen; Übung des Erkennens von Erkrankungsanzeichen und ihrer Interpretation; Übung der selbständigen Einnahme von Medikamenten und der Wahrnehmung regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen; Anleitung zur Durchführung verordneter Maßnahmen wie z. B. Physiotherapie, Training der Hilfsmittelnutzung (z. B. Hörgeräte, Brillen etc.).

  • zur Tagesstruktur

z. B.: Förderung der Motivation und Anleitung zur Entwicklung und Nutzung von selbstgewählten Strukturen oder Angeboten mit Bildungs-, Förderungs- und/oder Beschäftigungscharakter.

  • zur Ausübung eines Ehrenamtes

z. B.: beim allgemeinen bürgerschaftlichen Engagement; bei der Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung; bei der Peer-Beratung.

Die Leistungen beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in allen Lebensbereichen, z. B. die Unterstützung des dauerhaften Gebrauchs der Gebärdensprache oder die Erschließung alternativer Kommunikationswege bei fehlender oder stark eingeschränkter Sprache.

Der Leistungserbringer erbringt Assistenzleistungen unter Beachtung der Inhalte des Gesamtplans.

Nach Maßgabe des Leistungsbescheids steht der leistungsberechtigten Person ein Budget an Assistenzleistungsstunden für den spezifischen Bewilligungszeitraum zur Verfügung. Mit dem Budgetgedanken wird das Ziel verfolgt, innerhalb des Bewilligungszeitraums Schwankungen im Assistenzbedarf Rechnung zu tragen.

Der Leistungserbringer erbringt die Leistungen der qualifizierten Assistenz nach Abruf bzw. Absprache mit der leistungsberechtigten Person.

Der Leistungserbringer weist die leistungsberechtigte Person darauf hin, falls es zu einer Überschreitung der durchschnittlichen Inanspruchnahme kommt.

Der Leistungserbringer benachrichtigt im Einvernehmen mit der leistungsberechtigten Person den Träger der Eingliederungshilfe bei deutlichen Abweichungen der Inanspruchnahme. Dies ist z. B. der Fall, wenn 2/3 des Budgets vor Ablauf von 2/3 des Bewilligungszeitraums verbraucht sind. Hieraus kann eine Überprüfung des Gesamtplans erfolgen.

Alle bis zur Erschöpfung des Budgets erbrachten Assistenzleistungsstunden werden vergütet (§ 123 Absatz 6 SGB IX).

Sofern zu Lasten anderer Sozialleistungsträger bei (teil-)stationären Krankenhausaufenthalten oder anderen stationären Rehabilitationsmaßnahmen eine weitere Betreuung notwendig ist, werden maximal zwei Assistenzstunden pro Woche (Summe aus qualifizierter und unterstützender Assistenz) im Rahmen seines Assistenzstundenbudgets ohne besonderen Antrag vergütet. Notwendige Abweichungen müssen vorab mit dem Träger der Eingliederungshilfe vereinbart werden.

Sofern die leistungsberechtigte Person aus dem Krankenhaus bzw. der Rehabilitationsmaßnahme zur Belastungserprobung in den eigenen Wohnraum beurlaubt wird, stehen die bewilligten Eingliederungshilfeleistungen zur Verfügung.

Diese Leistung dient nicht dazu, Leistungen anderer Sozialleistungsträger zu ersetzen.

Werden zielidentische Leistungen zur qualifizierten Assistenz von anderen Stellen erbracht, ist der Nachrang der Eingliederungshilfe (§ 91 SGB IX) anzuwenden.

 

7. Qualität und Wirksamkeit

Es gelten die in Teil A 7.2 vereinbarten, grundlegenden Aussagen zur Qualität und Wirksamkeit.

 

8. Personelle Ausstattung/Personalqualifikation

Zur Erbringung der Leistungen sind vom Leistungserbringer ausschließlich geeignete Fachkräfte einzusetzen. Geeignete Fachkräfte zur Erbringung der qualifizierten Assistenz müssen die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten mit einer mindestens dreijährigen Fachausbildung im Bereich Pädagogik, Pflege oder sozialer Arbeit erworben haben.

Fachkräfte sind insbesondere Ergotherapeut*innen, Erzieher*innen, Heilerziehungspfleger*innen, Heilpädagog*innen, Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen und Personen mit vergleichbarer Ausbildung. Bedarfsgerecht kommen hierbei sowohl Berufsgruppen mit Fachschulausbildung als auch Berufsgruppen mit Bachelor- oder Masterabschluss bzw. vergleichbarer Abschlüsse zum Einsatz.

Die eingesetzten Assistenzkräfte müssen über die Fähigkeit zur Kommunikation mit den Leistungsberechtigten in einer für die Leistungsberechtigten wahrnehmbaren Form verfügen. Dadurch wird sichergestellt, dass die spezifischen Bedarfe unabhängig von der Behinderung gedeckt werden können und beispielsweise auch blinde, gehörlose und taubblinde Leistungsberechtigte eine für sie geeignete Assistenzkraft erhalten.

Beim Personalaufwand gelten die Regelungen nach Teil A 4.6.1.

Aufwendungen für gesetzlich vorgeschriebene Beauftragte einschließlich der Kosten für deren vollständige oder teilweise Freistellung (wie z. B. Betriebsräte, Mitarbeitervertretungen, Schwerbehindertenvertretung, Gleichstellungsbeauftragte, Datenschutzbeauftragte, Hygienebeauftragte) sowie Aufwendungen zur Arbeitssicherheit (insbesondere Brandschutz, Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz) werden im Organisationsmodul (Anlage A.5.4) abgebildet.

Die Kalkulation der Vergütung für die qualifizierte Assistenzstunde richtet sich nach der Anlage B.

 

9. Sächliche Ausstattung

Die für die Erbringung dieser Leistung notwendige sächliche Ausstattung wird in der Rahmenleistungsbeschreibung „Organisationsmodul“ abgebildet.

 

10. Betriebsnotwendige Anlagen des Leistungserbringers

Die für die Erbringung dieser Leistung betriebsnotwendigen Anlagen werden in der Rahmenleistungsbeschreibung „Organisationsmodul“ abgebildet.

 

11. Dokumentation und Nachweise
Die leistungsberechtigte Person quittiert die Leistung persönlich nach der Leistungserbringung spätestens nach Ablauf von 14 Tagen. Eine Ersatz-Quittierung durch Dritte (z. B. Vertrauenspersonen, Angehörige, gesetzliche Betreuer) wird nicht gefordert.

Vom Grundsatz der Quittierung können Ausnahmen zugelassen werden. Dies ist im Gesamtplan festzustellen oder in der Leistungsvereinbarung zwischen Leistungserbringer und Träger der Eingliederungshilfe zu vereinbaren.

Der Leistungserbringer dokumentiert die für die jeweilige Einzelperson erbrachte Leistung hinsichtlich des Datums, des Umfangs, des Inhalts und der leistungserbringenden Person (individuelle Leistungsdokumentation).

Die Dokumentation erfolgt prozessorientiert auf der Basis der im Gesamtplan vereinbarten Ziele und macht auf der Grundlage der dort festgelegten Maßstäbe und Kriterien der Wirkungskontrolle regelmäßig (in der Regel alle 6 Monate) Aussagen zum Grad der Zielerreichung.

Bei gemeinsamer Inanspruchnahme wird die Zahl der Teilnehmenden und der Zeitraum der gemeinsamen Inanspruchnahme dokumentiert und auf dem Quittierungsbeleg vermerkt.

10 Wochen vor Ablauf des Bewilligungszeitraums erstellt der Leistungserbringer unter Beteiligung der leistungsberechtigten Person mit Hilfe des in NRW gültigen Bedarfsermittlungsinstruments des Trägers der Eingliederungshilfe eine fachliche Stellungnahme zum Leistungsverlauf, zur Zielerreichung und eine Einschätzung zum zukünftigen Bedarf.

Bei Beendigung der Maßnahme legt der Leistungserbringer dem Träger der Eingliederungshilfe eine fachliche Stellungnahme zum Leistungsverlauf und zur Zielerreichung vor.

Eine zusammenfassende, institutionelle Leistungsdokumentation eines Leistungserbringers erfolgt auf Grundlage der standardisierten Leistungsdokumentation gemäß Anlage E.1.