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Assistenz für Kinder und Jugendliche im familiären Kontext

1. Leistungsbezeichnung

Assistenz für Kinder und Jugendliche im familiären Kontext

2. Rechtsgrundlage

§ 113 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX in Verbindung mit § 78 Abs. 2 SGB IX

3. Ziel der Leistung

Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe werden erbracht, um eine volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Leistungsberechtigte sollen in ihrer persönlichen Entwicklung ganzheitlich gefördert und zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung im jeweiligen Sozialraum und im familiären Wohnraum befähigt und hierbei unterstützt werden. Dies schließt insbesondere eine altersgerechte Lebensgestaltung, den Aufbau und Erhalt altersgerechter sozialer Kontakte und Netzwerke, Aspekte von Gesundheit und Mobilität, eine altersangemessene Verständigung mit der Umwelt zur Vermeidung von Isolation, die Ablösung vom Elternhaus bzw. familienähnlichen Setting und eine Verselbständigung ein.

Eine Konkretisierung der Leistungsziele erfolgt jeweils im Rahmen des individuellen Teilhabe-/Gesamtplans. Die Leistung deckt behinderungsbedingte Bedarfe von Kindern und Jugendlichen.

4. Personenkreis

Junge Menschen aus dem in Teil A. 3.3 beschriebene Personenkreis bis zur Beendigung der Schulausbildung an einer allgemeinen Schule oder Förderschule, längstens bis zur Beendigung der Sekundarstufe II.

5. Art und Inhalt der Leistung

Die Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung, d. h. altersgemäß und unabhängig von der Familie, kann sich auf alle neun Lebensbereiche beziehen, die in § 118 Abs. 1 SGB IX aufgelistet sind. Die Ausgestaltung der Leistung erfolgt personenzentriert unter Beachtung der Inhalte des Teilhabeplans/Gesamtplans.

Zur Erreichung der Ziele kommen insbesondere folgende Maßnahmen in Betracht:

  • Eröffnen von Lernfeldern im häuslichen Umfeld und im Lebensalltag, z.B. im Spiel, bei kreativen Aktivitäten, im Haushalt, bei der digitalen Teilhabe, beim Umgang mit Geld sowie Strukturierung der freien Zeit
  • Unterstützung bei der zeitlichen und örtlichen Orientierung einschließlich der Nutzung von Fortbewegungsmitteln und öffentlichen Verkehrsmitteln
  • Begleitung zu Sport- und Kulturangeboten, z.B. Sportverein, Jugendzentrum, Theater, Konzerte
  • Begleitung bei altersgemäßen Ferienangeboten und Reisen
  • Heranführung und Unterstützung bei der politischen Teilhabe und bei ehrenamtlichen Tätigkeiten
  • Unterstützung und Übung bei der Erschließung alternativer Kommunikationsformen bei fehlender, stark eingeschränkter Sprache bzw. Hörvermögen, z.B. Gebärdensprache, Methoden der Unterstützten Kommunikation
  • Unterstützung bei altersgemäßen sozialen Interaktionen, z.B. dem Aufbau und der Pflege von Freundschaften
  • Unterstützung bei der selbstständigen Wahrnehmung von Terminen

Die Leistungserbringung umfasst zum Zweck der Zielerreichung bei Bedarf auch grundpflegerische Hilfestellungen. Die Behandlungspflege ist regelhaft nicht Bestandteil der Leistung.

Die Leistungsgestaltung wird im Rahmen des durch den Träger der Eingliederungshilfe bewilligten Umfangs hinsichtlich Inhalt, Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme maßgeblich von den Interessen und Bedarfen der Leistungsberechtigten bestimmt. Eine flexible und transparente Abstimmung zwischen den Beteiligten den Leistungsberechtigten, den Personensorgeberechtigten, Assistent*in und dem Leistungserbringer wird sichergestellt.

Die Leistungen können so ausgestaltet werden, dass sie als individuelle Leistung oder an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden, soweit dies unter Beachtung des § 104 SGB IX zumutbar ist. Die Leistungen erfolgen handlungs- und alltagsorientiert, eingebettet in die Lebenswelt der jungen Menschen. Kultur- und gendersensible Aspekte werden berücksichtigt.

Die Leistungen können dem Bedarf entsprechend als unterstützende Assistenz oder qualifizierte Assistenz erbracht werden.

Die unterstützende Assistenz umfasst die vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen sowie die Begleitung der Leistungsberechtigten durch Assistent*innen, soweit diese nicht durch die Personensorgeberechtigten übernommen werden. Sie dient damit der altersgerechten alltäglichen Bewältigung von Barrieren und der Nutzung von Unterstützungsfaktoren im jeweiligen Sozialraum und im familiären Wohnraum der Leistungsberechtigten.

Die Aufgabe der Assistent*innen bei der vollständigen oder teilweisen Übernahme von Handlungen ist insbesondere die personenzentrierte, interaktive Unterstützung auf Anweisung der Leistungsberechtigten oder der Personensorgeberechtigten soweit die Leistungsberechtigten selbst diese Tätigkeiten (noch) nicht oder (noch) nicht vollständig eigenständig durchführen können.

Bei der Begleitung geht es insbesondere um die kontextsensible, spontanreagible und bedarfsgerechte Unterstützung der Leistungsberechtigten, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer allgemeinen Orientierungs- und Handlungsfähigkeit im täglichen Leben im jeweiligen Sozialraum. Sowohl im Rahmen der Übernahme von Handlungen als auch bei der Begleitung der Leistungsberechtigten werden auch im Zuge der allgemeinen unterstützenden Assistenz regelmäßig Befähigungsimpulse gegeben.

Die qualifizierte Assistenz ist insbesondere dann erforderlich, wenn komplexe Herausforderungen die aktuelle Lebenssituation der Leistungsberechtigten bestimmen, wie z.B. bei Auto- und Fremdaggressionen. Sie erfolgt vor allem durch Anleitungen und Übungen unter Beachtung von Barrieren und Unterstützungsfaktoren. Die qualifizierte Assistenz erfordert, dass mit den Leistungsberechtigten alltägliche Situationen und Handlungen angebahnt und im weiteren Verlauf geplant und geübt werden. Es werden Lerngelegenheiten geschaffen und Anregungen und Unterstützungen gegeben, um Handlungen perspektivisch selbständig zu übernehmen. Hierzu gehören z.B. die Förderung und Stärkung von grundlegenden Verhaltens- und Kommunikationsstrategien, die Anbahnung und Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten, Erkennen und Durchsetzen individueller Wünsche und Interessen, Anbahnung einer altersangemessenen Freizeitgestaltung und die Stärkung von Fähigkeiten und Fertigkeiten mit Blick auf eine möglichst selbstbestimmte Lebensführung, eigenständige Handlungsplanung und Eigeninitiative.

6. Umfang der Leistung

Der Leistungserbringer erbringt Assistenzleistungen unter Beachtung der Inhalte des Gesamtplans. Der Umfang der Leistung orientiert sich am Bedarf von gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen. Bestehende Ressourcen werden einbezogen.

Leistungen können stundenweise, tageweise, wochenweise und über Nacht erbracht werden, sowie in Gruppen unter Beachtung der Zumutbarkeit. Die zeitbasierten Leistungen können im Rahmen eines Budgets für den Bewilligungszeitraum den Leistungsberechtigten zur Verfügung gestellt werden, um Schwankungen im Assistenzbedarf auszugleichen.

Werden zielidentische Leistungen zur Assistenz von anderen Stellen erbracht, ist der Nachrang der Eingliederungshilfe (§ 91 SGB IX) anzuwenden.

Die Regelungen des § 13 Abs. 3 SGB XI (Gleichrang der Leistungen der Eingliederungshilfe und der Leistungen der Pflegeversicherung) sind ebenfalls zu beachten.

7. Qualität und Wirksamkeit

Im Teil A.7 werden grundlegende Aussagen zur Qualität und Wirksamkeit getroffen. Diese werden für die Assistenzleistungen für Kinder und Jugendliche im familiären Kontext konkretisiert und um folgende Punkte ergänzt:

Strukturqualität:

  • Zwischen den Leistungsberechtigten bzw. deren Personensorgeberechtigten und dem Leistungserbringer wird jeweils ein Betreuungsvertrag geschlossen. Dies soll in schriftlicher Form erfolgen.
  • Der Leistungserbringer übernimmt eine koordinierende Tätigkeit für den Einsatz der Assistent*innen. Darüber hinaus hat er eine beratende Funktion.
  • Der Leistungserbringer gewährleistet eine für die Leistungsberechtigten und deren Personensorgeberechtigte erforderliche Erreichbarkeit von Ansprechpersonen.
  • Der Leistungserbringer hält ein angemessenes Vertretungssystem vor.
  • Der Leistungserbringer vernetzt sich zur fachlichen Weiterentwicklung.

Prozessqualität:

Die Assistenzleistung versteht sich als Teil eines Gemeinwesens. Der Leistungserbringer wirkt an der Ausgestaltung, der Vernetzung und Zusammenarbeit der Akteure vor Ort mit.

8. Personelle Ausstattung/Personalqualifikation

Der Leistungserbringer hat dem individuellen Bedarf entsprechendes geeignetes Personal einzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit ein breites Aufgabenspektrum umfasst, sowohl in der Arbeit für die Kinder und Jugendlichen als auch in der Zusammenarbeit mit der Familie oder den Akteuren in familienähnlichen Settings.

Einige Hilfen und Unterstützungsleistungen für die Alltagsbewältigung bedürfen keiner besonderen pädagogischen bzw. pflegerischen Qualifikation. Andere Fallkonstellationen umfassen fachliche anspruchsvolle Unterstützungsleistungen, beispielsweise wegen besonders herausforderndem Verhaltens, für die pädagogische Vorerfahrungen oder eine einschlägige pädagogische Ausbildung erforderlich sind.

Als unterstützende Assistent*innen können angelernte Kräfte und Kräfte mit pädagogischen Vorerfahrungen eingesetzt werden.

Als qualifizierte Assistent*innen dürfen nur Kräfte mit einer abgeschlossenen einschlägigen Berufsausbildung, wie z.B. Erzieher*innen, Heilerziehungspfleger*innen, Heilpädagog*innen und Pflegefachkräfte eingesetzt werden.

Die eingesetzten Assistenzkräfte sollen über die Fähigkeit zur Kommunikation mit den Leistungsberechtigten in einer für die Leistungsberechtigten wahrnehmbaren Form verfügen. Der Leistungserbringer stellt die Qualifikation, Fortbildung sowie fachliche Anleitung des eingesetzten Personals sicher.

Neben dem Fachkrafterfordernis für qualifizierte Assistenz ist eine grund- und weiterführende Qualifikation für das Aufgabenfeld der unterstützenden Assistenz geboten und Aufgabe der Leistungserbringer. Kenntnisse zu relevanten Behinderungsformen, zur Grundpflege, zu Hilfsmitteln und Erste-Hilfe können ebenso Gegenstand der Qualifizierung sein, wie auch Kommunikations- und Deeskalationstechniken. Eine regelmäßige Fortbildung der Mitarbeiter*innen ist anzustreben. Für Mitarbeiter*innen werden regelmäßige Teambesprechungen durchgeführt und sollen Möglichkeiten einer (kollegialen) Supervision angeboten werden.

Die Ausgestaltung der Leitung und Koordination des Dienstes, sowie der Kooperation mit den beteiligten Akteuren obliegt dem Leistungserbringer. Für diese Aufgabe werden pädagogische Fachkräfte eingesetzt. Für bewährte Leitungskräfte, die bereits vor Inkrafttreten des Landesrahmenvertrages eingesetzt waren und keine pädagogischen Fachkräfte sind, gilt Bestandsschutz. Verwaltungskräfte unterstützen diese bei der Aufgabendurchführung.

Der Zuschlag für die Kosten von Leitung und Verwaltung wird auf 10 Prozent (Plausibilitätswert) festgesetzt.

9. Sächliche Ausstattung

Die erforderliche sächliche Ausstattung muss gewährleisten, dass die vereinbarten Leistungen bei Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes erbracht werden können.

Sie beinhaltet für die koordinierende Fachkraft einen sachgerecht ausgestatteten Büroarbeitsplatz mit IT-Ausstattung; sowie für die Assistent*innen die Möglichkeit, sachgerecht ausgestattete Arbeitsplätze zu nutzen.

Der Zuschlag für die Sachkosten wird auf 5 Prozent (Plausibilitätswert) festgesetzt.

10. Betriebsnotwendige Anlagen des Leistungserbringers

Die Immobilienausstattung muss bei Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gewährleisten, dass der Leistungserbringer über die zur Leistungserbringung notwendigen und geeigneten Räumlichkeiten verfügt. Die Dienststelle soll barrierefrei und mit angemessener Größe vorgehalten werden.

Der Zuschlag für die Kosten betriebsnotwendiger Anlagen ist vom Sachkostenzuschlag nach Ziffer 9 umfasst.

11. Dokumentation und Nachweise

Regelmäßige Dokumentationen sind unter qualitativen und leistungsrechtlich relevanten Aspekten sinnvolle Instrumente und sollen vereinbart werden. Aussagekräftige Dokumentationen der Leistungserbringer stützen aus Sicht des Trägers der Eingliederungshilfe die leistungsrechtlichen Entscheidungen sowie die weitere Gesamtplanung. Der Leistungserbringer nutzt Dokumentationen zur Wahrung seiner Fach- und Dienstaufsicht, insbesondere zur Sicherstellung einer kontinuierlichen Qualität der Leistungserbringung, z.B. im Vertretungsfalle.

Die Dokumentation besteht aus:

  • einer Dokumentation hinsichtlich des Datums, des Zeitraums und der leistungserbringenden Person als Grundlage für die Abrechnung der Leistung,
  • einer Dokumentation als Grundlage für die Gesamtplanung hinsichtlich des Inhalts der Leistung sowie der Erreichung der Teilhabeziele.

Eine zusammenfassende Leistungsdokumentation eines Leistungserbringers auf Grundlage des Musters Leistungsdokumentation (Anlage E) kann aus Gründen der Qualitätssicherung zusätzlich vereinbart werden.